Wir wollen darüber sprechen!

Wir erleben die Pandemie anders

Die in stationären Einrichtung lebenden Kinder und Jugendlichen kommen meist aus zerrütteten Familien oder aus Lebenssituationen ganz ohne Familienanschluss.
Neben vielen anderen Organisationen ist auch unser Bestreben mitunter eine pädagogisch wertvolle Begleitung und das Zusammenleben auf familienergänzender Basis bereit zu stellen. Wir wollen ihnen in unseren Wohngruppen das Gefühl von „zu Hause zu sein“ geben. Trotzdem sind die regelmäßigen Kontakte zu ihren Eltern und Freunden außerhalb der Gruppe enorm wichtig. Was aber, wenn Familienbesuche und Freunde treffen in der Pandemie nicht mehr erlaubt sind und dieser wichtige Teil einfach wegbricht? Eine Pandemie, deren resultierenden Schutzmaßnahmen es verschuldet, dass die Kinder keinen Kontakt mehr zu ihren Familien und Freunden haben dürfen.

 

Jugendliche aus Wohngruppen melden sich in Interviews zu Wort

Etliche dieser Kinder verloren während dem Lockdown gerade diesen wichtigen Teil in ihrem Leben. Nicht nur, dass die schulischen Leistungen Schaden genommen haben, oder dass sich Alltagsregeln verbogen haben – mit den Corona-Schutzverordnungen in den  Kinder- und Jugendhilfe-Einrichtungen geht ein Unterschied zu Kindern, welche in eigenen Familien leben, einher: Das ohnehin schon bestehende Gefühl, ausgegrenzt zu sein und nicht wahrgenommen zu werden, wird weiter verstärkt.

In einem Filmprojekt der AGE (Arbeitsgemeinschaft der Erziehungshilfen der Erzdiözese Freiburg) berichten Kinder und Jugendliche aus stationären Wohngruppen über ihre Lebenssituation während der Corona-Zeit. Ein Drehtag fand Anfang Oktober auch bei uns im Kinder- und Familienzentrum Villingen-Schwenningen mit jungen Menschen aus der Stiftungsjugendhilfe und vom Kinderhaus am Buchberg statt.

Ziel dieses Werks ist es, Kindern und Jugendlichen, die in einer Jugendhilfe-Einrichtung wohnen, eine Stimme zu geben. „Wir wollen mit diesem Interview-Film auf die besondere Lebenssituation der jungen Menschen aufmerksam machen.“, erklärt Jürgen Muff, Partizipationsbeauftragter und Fachleiter des Bereichs Schulsozialarbeit. Auch politisch und gesellschaftliche Verantwortungsträger sollen für die Belange dieser Kinder und Jugendlichen sensibilisiert werden. Einige Statements machen deutlich, unter welchem Druck und in welche Nöte die jungen Menschen durch die verordneten Corona-Maßnahmen gelangten. Sie zeigen auf, welche Regelungen aus ihrer Sicht „gar nicht gehen“, bei welchen es für die Gruppe der Kinder und Jugendlichen in stationären Wohneinrichtungen andere Auslegungen und Spielräume geben müsste und was für sie in vergleichbaren Situationen besonders wichtig ist.


Doch schauen und hören sie selbst:

Hier geht es zum Video

 

 

Das Gefühl von Ausgrenzung ist noch stärker geworden

Der damalige Lockdown verstärkte bei den Kindern das Empfinden von Ausgrenzung und Heimweh. Es fanden keine Ausflüge mehr statt, Therapien mussten abgesagt werden, mit Freunden war das Treffen untersagt und Eltern durften nicht mehr oder nur für sehr kurze Zeit zu Besuch kommen. Das Gefühl von „eingesperrt sein“ wurde immer intensiver.

„Man hat etwas Liebe und Aufmerksamkeit gebraucht – mal eine Umarmung. Das konnte man alles nicht bekommen, man musste Abstand halten.“, berichten die Kinder und Jugendlichen aus ihren Erfahrungen. Sie konnten nicht nachvollziehen, innerhalb der Wohngruppen auf Abstand zu sein – wenn doch andere Familien diesen Abstand nicht wahren müssen. „Eltern müssen keine Masken tragen, unsere Erzieher aber schon.“

Mitunter einer der schlimmsten Veränderung für die jungen Bewohner war „keine Familie, tatsächlich. Besuchen durften wir sie nicht.“ Eine jugendliche Bewohnerin weist darauf hin, dass die  Gruppen nicht nur von den allgemeinen Corona-Regelungen betroffen sind, sondern darüber hinaus weitere oder speziellere Regeln galten. „Als wir immer noch nicht raus durften, konnten unsere Freunde wieder raus. Die haben sich dann immer getroffen und man musste immer absagen und erklären ‚Ich darf nicht, weil ich lebe in einem Heim‘.“ Manche der Kinder berichten, wie dadurch und aufgrund von weiteren Kontakt-Beschränkungen die eine oder andere Freundschaft zerbrochen ist.

Doch finden Sie hier und da auch etwas Gutes, wie beispielsweise, dass man endlich Zeit für sich hatte und Dinge in Ruhe reflektieren konnte. Gerade zu Beginn des ersten Lockdowns war es für die Kinder eine interessante Erfahrung, sich mehr mit dem eigenen Individuum zu befassen. Auch das noch intensivere Zusammenleben innerhalb der Wohngruppen hatte durchaus auch positive Seiten gezeigt. „Man hat tatsächlich auch Freundschaften dazugewonnen – Menschen, mit denen man zwar zusammenwohnt, die man aber im Alltag sonst nicht so wahrnimmt.“

 

Botschaften an die „Regel-Macher“

Hat man die Kinder und Jugendlichen gefragt, was ihre Botschaft an diejenigen wäre, die die Corona-Regeln aufstellen, so stand der soziale Kontakt stark im Fokus. „Ich finde die sollten wissen, dass soziale Kontakte für uns wichtig sind.“, erklärte ein Junge seine Ansicht zu dieser Frage. Die jungen Bewohner wünschen sich, dass sich der „Regel-Macher“ auch dabei in deren Lage versetzt. „Er soll verstehen, dass wir nicht wie andere Kinder sind, dass es auch andere Regeln braucht.“

 

Songs geben Einblick in persönliche Lebenssituation junger Menschen in Corona-Zeiten

Auf ganz andere Weise haben sich zwei Kinder aus Stiftungswohngruppen mit ihrer persönlichen Lebenssituation auseinandergesetzt und mit unserer Musikpädagogin Franziska Obergfell eigene Songs getextet. Diese wurden dann mit der Jugendhilfeband geprobt und in den Sommerferien aufgenommen.

Der Song „Mama“ ist eine Liebeserklärung eines 12-jährigen Jungen an seine Mutter. Der Song „Warum nur?“ entstand in der Zeit des Homeschooling und befasst sich mit den Gefühlen eines 10-jährigen Mädchens während des Lockdowns und der Frage nach dem „Warum?“.

Nehmen Sie sich ein paar Minuten Zeit und hören Sie sich die Werke der Kinder an.

Song 1 - "Mama"

Song 2 - "Warum?"

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